GROSSE FREUDE ÜBER DAS PÄCKCHEN


Aber sie schreibt liebevolle Briefe an ihre Mutter. ”Ich hab‘ Dich gern Mami ich brauche dies ich vermisse Dich Mami und ich brauche auch das ich liebe Dich und küsse Dich Mami aber ich will etwas dringend ich brauche es jetzt sofort.”


Sie hat am Brunnen von Lackschuhen geträumt.


So schrieb sie ihr viele Male und ihre Mutter wußte nie, was sie ihr schicken sollte. Einige Jahre lang hat sie sie nicht gesehen. Die Mutter fragt sie immer ”Wie geht es dir?” und sie: ”Mir, nun, es geht so, zumindest ist das Brot nicht schwarz, es ist aber auch nicht teuer, zumindest kann ich es oft nicht essen und ich gebe es meinem Jungen, der Junge hat immer viel Hunger, wächst und verbraucht viel Energie und Brote, aber mach dir keine Sorgen  wir befinden uns nicht im Krieg, in dem Krieg, meine ich, wenigstens haben wir etwas und so ist das eben. Man kann es morgens kaufen, weißt du, dann ist es sehr warm und schmackhaft und ich genieße die Wärme und schaue dabei den Jungen an, aber ich sag‘ dir nochmal, mach dir keine Sorgen, es ist nur dann weder schmackhaft noch warm, wenn es nicht gebacken wurde oder du es erst am nächsten Tag bekommst, und ich sage dir ja, wenigstens haben wir es, und manchmal kannst du am nächsten Morgen sogar zwei haban, findest Du das nicht schön? Schließlich kann man doch gar von ”allem” kaufen, wenn wir von Dörfern und Brunnen und ”quillas” sprechen, oder dem immer wiederkehrenden Tagesablauf der etwa zwanzig Stunden, in denen du nicht merkst, was geschieht, wieviel doch eigentlich geschieht-.


Ihr Mann bedrängt sie immer heftiger, liebevolle Briefe an ihre Mutter zu schreiben. Einen Wunschzettel. Aber die Tochter lehnt das ab. Sagt, daß ihre Mutter sehr wenig verdient und an einem dunklen Ort arbeitet, tief unten, wo das einzige Licht von den Leuchtkäfern kommt, - ”wie schrecklich! und die Kälte, meine Mutter dort mit so vielen Kerlen, wenn sie irgendeine andere Frau hätte wie in meinen früheren Erzählungen, wäre sie nicht so müde und verdrießlich” – (Sublimierung des Neuen), entweder mit anderen Frauen oder mit Kerlen, (aber immer bedeutet das Neue Sublimierung). Ihre Mutter verdient sehr wenig, aber bekommt immer sehr viel, sie hat dieses große und seltene Glück, das die anderen nicht kennen, immer bekommt sie etwas geschenkt, irgendein gebrauchtes Kleidungsstück, irgendein gebrauchtes Auto, irgendein gebrauchtes Haus, irgendein gebrauchtes Schwimmbecken, irgendein gebrauchtes Flugzeug und sie reist immer viel, aber kehrt zurück,  zu den Kerlen und den Leuchtkäfern, ”die Ärmste, meine Mama, lebt sie doch immer von gebrauchten Sachen und von der Rückkehr.”  ”Ich will, daß du sie um etwas bittest.” ”Nein, ich traue mich nicht, ich könnte sie nie um etwas Bestimmtes bitten, immerhin fragt sie jedesmal und wenn ich auch nichts zu ihr sage, so weiß sie doch, wie man in einem Brunnen lebt, ich habe ihr schon geschrieben, wie man in diesem Brunnen lebt” - (Notritis extremitis). ”Schick mir das, was du willst, mir fällt nämlich nicht ein, was du mir bei derartig vielen neuen und alten Sachen, die an so einem kaugummiartigen Punkt zusammenkommen, noch schicken kannst - und......es ist ein Päckchen angekommen mit kleinen Blümchen und Herzchen, und Bändchen und Schnürchen und Drähtchen, und ein klein wenig Staub, und Sternchen, und einigen blauen Monden, und winzigen und mittelgroßen Sonnen, eingewickelt in viel Papier, sogar in Zeitungs- und Toilettenpapier, mit allem möglichen Zeitungs- und Toilettenpapier. ”Meiner Mutter gefällt es, wenn sich etwas ent-wickelt”,  lächelt sie glücklich.


Ihre Mutter hat ihr eine riesige Pralinenschachtel geschickt.

fotos © Elvira Rodríguez Puerto


SIEBEN: Flash der Modernheit


Ein schickes Mädchen hat darauf gewartet, daß endlich alles in voller Blüte steht und der Sommer da ist. Es hat viele Farben in seinem kurzen Haar und viele Ohrringe in seinen Ohrläppchen, und es tritt sich selbst auf die weit ausgestellten Hosenbeine, und sein Gesicht ist sehr rot und milchig weiß. Um die Taille geschlungen trägt es neue Kleidung, die alt wirkt, und es hüpft schon eine ganze Weile Seil. Es hat weder Hunde noch Blumen bei sich. Es hat Arme, Beine und sehr hohe Schuhe, mit denen es immer noch hüpft, hüpft, hüpft, bis die Absätze abbrechen. Kraxxxxxx

ZWEI: Semi-Eröffnung


Ein Mädchen schenkt uns weiße Blumen ohne Duft. Sie kann ihn nicht ausmachen.. Und sie treibt das Spray auf, das sie nun zu Hilfe nimmt und riecht erneut an ihnen und niest. ”Jetzt kann ich sie dir schenken” hat sie mir ihre besprayten Blumen angeboten.

DER BRUNNEN

IM HAUS DER GESCHICHTEN

LA FUENTE EN LA CASA DEL CUENTO

Elvira Rodríguez Puerto

Ediciones Extramuros, La Habana, 2002

algunos cuentos

Übersetzung, Christine Grothe

MUTTERLIEBE


Sie lässt ihre Tochter essen, wann sie will, wie sie will und wenn sie will, an ihrem schmutzigen, sauberen, liebsten, verhassten oder erbrochenen Platz. Ihre letzten Gesten und Vorlieben. Ihre Tochter hat keine störrischen Anfälle. Einmal stand sie auf dem Brunnenboden wie ein verzogenes Kind, um sie schlagend, mit den Füßen trampelnd, herumgeplantsche im schmutzigen Wasser, warum auch nicht. Da hat sich ihre Mutter störrisch auf den Boden geworfen. Die Tochter hat aufgehört zu schreien, weil sie über ihre Mutter erschrocken war. Verrückt? Sie wollte die verrückte Mutter nicht anhören-ertragen. Sie haben wenig Geld. Die Mutter malt so vor sich hin und verkauft nichts. Die Tochter malt besser als ihre Mutter mit ihren Naivtaismen und die Großmutter schläft und trödelt durch den Tag. Sie liebt es, sich tablettierend zu performancen, Probleme mit der Minuspause und weil ihr Mann lieber die Füllung ihrer Möbel streichelt oder die Füllige. Und sie gibt ihre Tochter seit ihrer Geburt bei der Nachbarin ab und zeitweise und sie würde sie gerne endgültig abgeben, also bei der Großmutter, nicht bei der Mutter, aber die Nachbarin möchte von einem Land weg. Die Großmutter erfindet bei der Nachbarin Geschichten, damit sie nicht aus einem Land will, zumindest nicht endgültig –da werden die Leute aufgefressen– und sie halten inne, sich verstohlen mit einem Seitenblick anschielend und sie zieht sich zurück, um eine neue Geschichte zu erfinden, während die Nachbarin einige Wäschestücke zusammenrafft, um sie in ihrer Truhe aus einfachem Nylon zu verstauen. Ihr Gesicht ist auch etwas zerschunden, Getratsche am Brunnen, weil sie mit dem anderen und du weißt schon. Wer erfindet keine Geschichten? –Ich– ertönte die Stimme von Sündigen. Dann will sie nicht. Sie kann nicht. Sie muss das andere Land besuchen und nichts hält sie zurück, weder die Probe der störrischen Anfälle oder dass die Nachbarstochter sie glücklich macht und sie kennt das Wort “Land” noch nicht, oder vielleicht “Brunnen”. Aber sie haben keine Zeit, sich immer wieder den Fußtritten und dem Geschrei auf dem Boden auszuliefern. Die Füllige vielleicht. Kind-Tochter wünscht nicht, zu essen oder Milch zu trinken und vor lauter Nicht-Können oder weil die anderen sie unter Druck setzen, zieht sie es vor, sich das Gesicht am übel riechenden Ocker des Hofs und ihres Brunnens zu reiben. Ihre Mutter verabschiedet sich von Nachbarin, die ein Land verlässt. Sie übergibt ihr mit ihrer ebenso zerschundenen Hand eine Wunschliste und Großmutter schaut nach B.quilla und zur verrückten Mutter und alle Leute sind amüsiert und weit weg. Sie schüttet Tochter die Milch, die sie sich zu trinken weigert, über den Kopf. So hatte sie es Tochter immer angetan.

WAS EIN JEDER VERDIENT


Sie wollte den Mann mit den rosa Fersen lieben, aber er hatte die Ellbogen so rot vom vielen Aufstützen und weil er sie nie von dem Ort trennen wollte, wo die Prächtigen nicht waren. Deshalb war sie immer traurig und müde, aber sie forderte von ihm all die verbotenen Gefühle des Brunnens, die von ihr und die von allen, um ihre Mir-wurde-Gewalt-angetan-Spielchen durchzusetzen und er bemerkte lediglich, –Tu dies nicht, tu das nicht, geh da nicht hin und geh dort nicht hin, schau niemanden an, der Dir nicht gehört–. Und das ist so herrlich, dass es sogar meine Großmutter aus N.Y. mit gespreiztem Haar und allem gespreizt betrieb und schließlich war sie über die Erinnerungsliste glücklich, und weil der passt doch viel besser zu einer anderen, aber doch nicht zu Dir, oder such Dir doch jemanden unter denen, die Du kennst und der nicht von diesem Platz ist– sagte meine Großmutter zu mir. Deshalb tat ich dies oder jenes, ging dahin und dorthin, schaute an, wen mir nicht gehöre, mir gehören wird und dem ich gehörte. –Sie kommen bloß, um zu nerven und zu holen–, sagte die Stimme einer immer nörgelnden Freundin, aber meine Großmutter, jene Unselige, hatte schon immer ihre göttlichen und geistlichen Theorien. –Ach, du verstehst es aber auch wirklich nicht, was für Dich rauszuschlagen, wie lang soll das noch weitergehen? Schau, such dir doch einen, der zu dir passt, schau mal den Platz, die Decke ist eingestürzt, jemand der die alten Balken deines Hauses gießt, man weiß ja nie, und der dich dann mitnimmt. Deshalb habe ich den mit den rosa Sachen ausgesucht und weil er mich mitnimmt. Jemand von dem es besser ist zu denken, er sei ein goldener oder zerquetschter Prinz, der bald sterben wird und du musst ihm nichts machen und der sich damit begnügt, deine nackten Knöchel zu bewundern. Ich kann mich bloß nicht mehr daran erinnern, ob es die Stimme meiner Großmutter oder meiner Mutter war, aber ich könnte sogar die Stimme eines Fremden mit dieser Stimme der Erfahrung verwechseln und sie genießen. Alles, was sich nach Genuss anhörte, war besser. Ich wollte mich nicht länger gehemmt fühlen oder getrennt oder verspottet oder mich an mich selbst verlierend. Deshalb kochte ich nichts Leckeres, machte kein pompöses Frühstück, ein paar Male habe ich es in meiner Vorstellung getan und der Tisch war geschmückt, aber er fand alles hässlich, kitschig und geschmacklos, er wusste nicht zu schätzen, wie viel Begeisterung und Verlangen ich investiert hatte, um zu glauben, dass ich noch ich selbst war. Und jedes Mal lud er jemanden ein und ich aß, oder spielte, oder provozierte, oder verletzte, und ich betrank mich, ich betrank mich jedes Mal mehr und verspürte das Glück, ich selbst zu sein, ohne mir darüber bewusst zu werden, es spielte keine Rolle, wie viel ich tat und wo ich tat, und ob mit gespreiztem Haar oder gespreizten Beinen und die andren schielten mich mitleidig an, aber es gefiel ihnen. Der eine liebt und der andere lässt sich lieben, aber in unserem Falle war es nicht so, weil er nach Ehe roch und in einer Ehe, die alles rosafarben ist, sind die Dinge normalerweise anders, also ich meine, wenn Du nicht völlig rosa bist. Nichts ist dran, dass die Hölle voller Hexen, Prostituierten und Schriftstellerinnen ist, sagte eine Freundin zu mir, die aus dem Land A kam, und die es schon tausend Mal geschrieben hatte und die es mir immer wieder schickte, damit ich wirklich lebte. Aber ich wollte nur einen Zigeuner aus Lenta. Hier!, jemand, der mich wirklich sehen und leben ließ, bei dem ich ich selbst sein durfte, obwohl er rosa  und zerquetscht war, und ich konnte es nicht ertragen, zumindest nicht mehr, weil ich außerhalb des Brunnens, des Platzes und von B.quilla war, und in jener Nacht, in der mir nichts mehr bunt vorkam, wollte ich alles zerstören und weil ich als Kind immer gespielt hatte, um mich glücklich zu machen und dich sagte immer wieder: –wem schmeckt Schinkeeeen?–, –miiir!–. Und ich aß alles auf einem Plastikteller auf und mit einem zerkratzten Löffel, ich habe sie immer noch, und ich lade meine Freunde ein und sie sind glücklich, wenn sie das alles teilen, was mir gehört und was ihnen gehört, aber ... –wem schmeckt Limonade mit braunem, braunem, braunem Zucker?–, –miiir!–, sagte Sündigen, –wem schmeckt Ananastörtchen garniert mit kleinen Tierchen und Küsschen und Küsschen, und brennenden Einwegkerzen?–, –miiir!–, sagte Sündigen noch einmal, –und wem schmeckt Ärschchen?–, –miir!–, –Dann gebt ihm das Hühnerärschchen!–, und am Ende, die Befreiung.